Ist jemand seit vielen Jahren in Sicherungsverwahrung untergebracht, darf seine Begutachtung nicht immer wieder dem gleichen Sachverständigen übertragen werden.
Das Bundesverfassungsgericht befürchtet ansonsten sich wiederholende Routineentscheidungen. Von Zeit zu Zeit sei ein frischer Blick auf den Verurteilten notwendig.
Maßregelvollzug seit 2001
Das Landgericht Verden hatte einen erheblich vorbestraften Mann 1998 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Eine anschließende Sicherungsverwahrung war angeordnet worden. Seit 2001 befand der Verurteilte sich daher im Maßregelvollzug. Im März 2018 wurde zuletzt vom LG Göttingen die Fortdauer der Sicherungsverwahrung angeordnet. Nach Auffassung des Sachverständigen litt der Verurteilte an einer Alkoholabhängigkeit und einer dissozialen Persönlichkeitsstörung. Der Gutachter hatte bereits seit 2015 an drei Fortdauerentscheidungen mitgewirkt – jeweils gegen den Widerstand des Häftlings, der sich nicht untersuchen lassen wollte. Gestützt auf die aus seiner Sicht fehlerhafte erneute Beauftragung des gleichen Sachverständigen legte der Mann sofortige Beschwerde ein. Das Oberlandesgericht Braunschweig wies diese zurück: Die Auswahl des Gutachters liege im Ermessen des Gerichts. Bei der Sicherungsverwahrung habe der Gesetzgeber – anders als bei der Überprüfung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus, § 463 Abs. 4 Satz 3 StPO – den Einsatz des Vorgutachters nicht verboten. Das BVerfG hob die Entscheidungen auf.
Unbeeinflusster Blick
Die Karlsruher Richter sahen das Freiheitsrecht des Häftlings aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Dieses Recht wirke sich auch auf das Verfahren aus und erfordere gewisse Mindeststandards bei der Verlängerung im Prinzip unbegrenzter freiheitsentziehender Maßnahmen. Dabei ist es nach Ansicht der Verfassungsrichter irrelevant, dass die wiederholte Beauftragung des gleichen Gutachters mit der Überprüfung nicht schon vom Gesetz verboten wird. Verfassungsrechtlich sei eine bestmögliche Sachaufklärung geboten. Vermieden werden müssten "repetitive Routineentscheidungen", die im Prinzip nur eine Fortschreibung des Bekannten seien. Die Gefahr war hier für das BVerfG mit Blick auf die mehrfache Vorbefassung des Gutachters in relativ kurzer Zeit und die lange Unterbringung im Maßregelvollzug evident.
Quelle: Beck-Online.de