Die Zwangsmedikation eines Untersuchungshäftlings kann nicht auf der Grundlage von § 28 des nordrhein-westfälischen Untersuchungshaftvollzugsgesetzes (UVollzG NRW) angeordnet werden.

Erforderlich ist vielmehr gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts eine besondere gesetzliche Grundlage, die die Zulässigkeit des Eingriffs klar und bestimmt regelt. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm mit rechtskräftigem Beschluss vom 17.03.2016 entschieden (Az.: 5 Ws 88/16).

Zwangsmedikation eines Untersuchungshäftlings beantragt

Der Angeklagte, dem ein Totschlag zur Last gelegt wird, ist seit September 2015 in Untersuchungshaft. Für etwa vier Wochen war er in einem Justizvollzugskrankenhaus untergebracht und wurde dort in der psychiatrischen Abteilung stationär behandelt. Der Leiter des Krankenhauses beantragte auf der Grundlage des § 28 UVollzG NRW die richterliche Anordnung einer Zwangsmedikation des Angeklagten. Zur Begründung wies er darauf hin, dass der Angeklagte unter einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leide und sich extrem verhaltensauffällig sowie akut fremdaggressiv zeige. Unter einer neuroleptischen Medikation sei er deutlich zugänglicher und weniger angespannt. Mit dieser Medikation sei der Angeklagte auch anfangs einverstanden gewesen. Mittlerweile zeige er jedoch keinerlei Krankheitseinsicht mehr und lehne jede Medikation ab. Von ihm gehe aber noch eine akute Fremdgefährdung aus.

LG Arnsberg: Keine ausreichende gesetzliche Grundlage

Das Arnsberger Schwurgericht lehnte die Zwangsmedikation ab, weil es dafür keine hinreichende gesetzliche Grundlage gebe (BeckRS 2016, 03316). Gegen diese Entscheidung legte der Leiter des Justizvollzugskrankenhauses Beschwerde ein.

OLG: Zwangsmedikation setzt klare und bestimmte gesetzliche Grundlage voraus

Das OLG hat die LG-Entscheidung bestätigt. Das nordrhein-westfälische Untersuchungshaftvollzugsgesetz enthalte keine Rechtsgrundlage für eine Zwangsmedikation. Die medizinische Behandlung eines Untersuchungsgefangenen gegen seinen Willen sei ein besonders schwer wiegender Grundrechtseingriff, der nach der BVerfG-Rechtsprechung nur auf der Grundlage eines Gesetzes erfolgen könne. Dieses müsse die formellen und materiellen Voraussetzungen für den Grundrechtseingriff hinreichend klar und bestimmt regeln.

  • 28 UVollzG NRW genügt Vorgaben des BVerfG nicht

Den verfassungsgerichtlichen Vorgaben werde die Vorschrift des § 28 UVollzG NRW nicht gerecht, soweit auf sie eine medizinische Zwangsbehandlung - zumal mit Neuroleptika - gestützt werden solle. Insoweit lasse die Vorschrift bereits eine Regelung der Eingriffsvoraussetzungen vermissen. Auch fehle es an der näheren Beschreibung durchzuführender Zwangsmaßnahmen. Zudem fehle eine Regelung zur Dokumentation der krankheitsbedingten Einwilligungsunfähigkeit sowie für die Ankündigung der beabsichtigten Maßnahme gegenüber dem Betroffenen. Insbesondere sehe die Vorschrift keine von der Justizvollzugsanstalt unabhängige ärztliche Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen vor.

Aspekt der Gefahrenabwehr rechtfertigt keine Anwendung der Vorschrift

Entgegen der vom Leiter des Justizvollzugskrankenhauses vertretenen Ansicht könne eine Zwangsmedikation in Anwendung des § 28 UVollzG NRW nicht allein unter dem Gesichtspunkt einer im Einzelfall notwendigen Gefahrenabwehr gerechtfertigt werden. Den insoweit vorliegenden Mängeln der gesetzlichen Regelung könne nicht im Wege einer verfassungskonformen Auslegung abgeholfen werden. Diese Defizite könne nur der Gesetzgeber beheben.

Quelle: Beck-online

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